Zum 75. Jubiläum des ICJA wollen wir unser eigenes Friedensverständnis im Kontext neuer Reflektionen und aktueller Krisen hinterfragen und uns mit der Frage beschäftigen, welche Richtung das Friedensprojekt ICJA zukünftig nehmen soll. Heutige Friedensdefinitionen sehen die Felder „Frieden, Gerechtigkeit und Umwelt“ als gegenseitige Bedingungen. Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben, keine Gerechtigkeit ohne einen Wandel im Umgang mit der Umwelt, keinen Schutz des Planeten ohne Frieden, etc.
Wir möchten in einer Veranstaltungsreihe diese drei Felder und ihre Verknüpfung miteinander genauer betrachten: „Wie soll ein Friedensverständnis, das die Basis für die Arbeit des ICJA bildet, heute aussehen?“ Dafür spielt die konkrete Auslegung der jeweiligen Konzepte eine Rolle – Was genau ist gemeint mit sozialer Gerechtigkeit? Wie hängt diese mit gesellschaftlicher Ungleichheit und kolonialen Strukturen zusammen? Was verstehen wir unter Klimaschutz oder „Klimagerechtigkeit“? Was braucht es, um diese herzustellen? Wie hängen unsere Beziehungen zur Natur, zu anderen Menschen und zu uns selbst zusammen? Welche Grundannahmen liegen dem aktuellen System zugrunde und welche anderen Ideen gibt es? Was meinen wir, wenn wir von Gewaltfreiheit sprechen? Wie genau sehen wir Frieden, Gerechtigkeit und Klima miteinander verbunden? Uvm.
Es werden insgesamt sieben 90-minütige digitale Veranstaltungen mit verschiedenen Expert*innen der Themenfelder organisiert. In einem ersten Block werden drei Expert*innen unterschiedlicher Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung aus dem Netzwerk des ICJA die Grundlagen ihrer Arbeit präsentieren. Ihre Ansätze betrachten Konflikte als Möglichkeit für Transformation und Frieden als einen Prozess. Wir wollen mehr darüber erfahren, mit welchen Mitteln sie dies in der Praxis umsetzen, welche Herausforderungen es dabei gibt und wie sie mit unterschiedlichen Machtverhältnissen umgehen. In einem zweiten Block soll es konkreter um den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Frieden gehen. Anhand von Kritiken aus dekolonialer Perspektive, die für uns, als international agierende Organisation von ganz besonderer Relevanz sind, wollen wir Friedensarbeit kritisch weiterdenken. Zudem wollen wir uns mit Postwachstumskonzepten beschäftigen, die aktuelle wirtschaftliche und politische Verhältnisse aus einer anderen Perspektive ebenfalls grundsätzlich infrage stellen. In einem dritten Block wird schließlich das Thema Verhältnis zur Natur und Klimagerechtigkeit, noch mehr in den Fokus gerückt. Wir wollen uns mit dem Buen Vivir beschäftigen, einer konkreten, nicht-westlichen Vision anderen Zusammenlebens. In der zweiten Sitzung des Blocks werden wir über die Zusammenhänge zwischen Frieden und Klimawandel beziehungsweise dem Hinwirken auf eine sozial-ökologische Transformation sprechen.
"Kriege dominieren die Schlagzeilen. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht wird diskutiert, die Staatsausgaben für Militärausrüstung steigen, während die Förderungen für zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengestrichen werden. Alles scheint sich derzeit in Richtung Militarisierung und Normalisierung von kriegerischen Konflikten zu bewegen. Dabei gibt es schon seit Jahrtausenden gewaltfreie Alternativen zur Bearbeitung von Konflikten, die weder Unrecht noch Krieg hinnehmen wollen. Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung gehören dazu. In der Vortragsveranstaltung „Gewaltfreiheit und Alternative Sicherheit – eine Basis für mehr Frieden?“ mit der Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung (BSV e.V.) Dr. Christine Schweitzer werden wir uns mit den Grundlagen der Gewaltfreiheit, verschiedenen Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung und dem Konzept der Sozialen Verteidigung als gewaltfreies Mittel des Widerstands beschäftigen. Es soll unter anderem darum gehen, welche Annahmen hinter dem dominanten Umgang mit Konflikten stecken, wie diese auf individueller und struktureller Ebene verändert werden können und wie alternative, zivile Konfliktbearbeitung in der Praxis konkreter Beispiele aussehen kann. Dr. Christine Schweitzer ist neben ihrer Arbeit bei BSV auch wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung. Ihre Schwerpunkte sind Zivile Konfliktbearbeitung, Soziale Verteidigung, gewaltfreie Intervention in gewaltsame Konflikte und ziviles Peacekeeping. Sie ist seit ihrem Studium in den 80er Jahren in der Friedensbewegung aktiv. Unter anderem war sie Mitgründerin und erste Koordinatorin des internationalen Balkan Peace Team sowie für die INRO Nonviolent Peaceforce als Forschungs- und dann Programmdirektorin tätig."
"Auf den ersten Blick erscheinen uns Konflikte als negativ, anstrengend oder gar gefährlich. Wir würden sie gerne vermeiden. Konflikte werden oft mit Gewalt gleich gesetzt. Aber auf den zweiten Blick können wir feststellen, dass Konflikte ziemlich normal sind - in unserem privaten und beruflichen Umfeld, auch in unserer Gesellschaft. Und vor allem dass wir in den allermeisten Konflikte mit konstruktiven gewaltfreien Mitteln gute Lösungen für alle Seiten finden. Dann zeigt sich, dass Konflikte nicht per se negativ sind, sondern eine Quelle für positiven sozialen Wandel sind. Referent Jochen Neumann wird darüber sprechen, welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen und wie dies in der Praxis aussehen kann. Er ist Geschäftsführer der KURVE Wustrow – Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion e.V., Mediator und Trainer für zivile, gewaltfreie Konflikttransformation, u.a. im Rahmen der Ausbildung zur Friedensfachkraft. Er unterstützte Mediations- und Versöhnungsprojekte in Südafrika und war für das Mainstreaming des Do No Harm-Ansatzes bei einer Menschenrechtsorganisation verantwortlich."
In der nächsten Veranstaltung der Friedensgespräch-Reihe "Die einfache Magie der Mediation" sprechen wir mit Jan Sunoo über die philosophischen und praktischen Grundlagen der Mediation: Worin liegt das Geheimnis, das dieses Instrument zu einem einfachen, aber doch effektiven Mittel der Konfliktbearbeitung macht? Welche Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Mediation gegeben sein? Und wie können Machtungleichgewichte zwischen Mediationspartner*innen ausgeglichen werden? Der Referent Jan Sunoo ist als Kind koreanischer Eltern in San Francisco aufgewachsen und ICJA Alumni von 1962-63. Er arbeitete als Mediator, Facilitator und Trainer für Multiparty-Win-Win-Verhandlungstechniken und interkulturelle Kommunikation schon an unterschiedlichen Orten der Welt für Institutionen wie die ILO (UN) oder den U.S. Federal Mediation and Conciliation Service und für Gewerkschaften. Jan wird sich aus Korea, wo er seit einigen Jahren mit seiner Frau wohnt zuschalten. Der Input wird auf Englisch gegeben werden, die Diskussion kann dann gern auch auf deutsch sein.
Grünes Wachstum, nachhaltiges Wachstum, Green Deal - all diese politischen Programme versprechen uns, dass alles genau so weitergehen kann, nur eben mit Erneuerbaren Energien. Doch wie realistisch sind diese Szenarien? Ist ein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten tatsächlich möglich? Und wie hängen Konflikte mit der Klimakrise, der wachsenden globalen Ungleichheit oder dem Kampf um begrenzte Ressourcen zusammen? In diesem Workshop schauen wir uns Degrowth oder Postwachstum als eine Abkehr von den Versprechen des immer währenden Wirtschaftswachstums an. Und wir fragen, ob und wie dies eine Perspektive für eine gerechtere und friedlichere Welt bieten kann. Als Referent begleitet uns diesmal Julian Wortmann. Er hat Umweltwissenschaften und Human Ecology in Deutschland und Schweden studiert und arbeitet seit 2016 beim Konzeptwerk Neue Ökonomie als Bildungsreferent zu den Themen Degrowth und sozial-ökologische Transformation. Dabei treibt ihn die Frage um, was effektive Hebel und Hindernisse für eine gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit sind.
Seit Europa begonnen hat, sich global auszubreiten, sind die zu Opfern der Kolonisierung gewordenen Völker damit beschäftigt, die wirtschaftlichen, kulturellen, materiellen, psychologischen und sprituellen Konsequenzen des Kolonialismus zu verstehen und zu bekämpfen. Doch die Kolonisierung ist eine Beziehung zwischen zwei Seiten - dem Kolonisierten und dem Kolonisierenden. Wir erforschen seit Jahrhunderten vor allem eine dieser beiden Seiten und es ist Zeit, auch den anderen Teil der Gleichung zu analysieren: Das Subjekt der kolonisierenden Gesellschaft. Wer ist der Kolonisator, wie verhält er sich, welche Motivationen hat er und welche Effekte hat die Kolonisierung auf Individuen und Gruppen, deren Identität und Macht auf Ausbeutung, Unterdrückung und Rassimus aufbaut. Diese Fragen sind zentral, um nicht nur aus der Periferie heraus, sondern auch im globalen Norden Strategien zu entwickeln, die der Politik der Unterdrückung ein Ende setzen und eine Welt mit weniger Kriegen aufbauen.
Dr. phil. Edna Martinez positioniert sich als Frau und Afrokolumbianerin, Akademikerin, politische Aktivistin und Boxtrainerin. Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit und Forschung mit den Feldern der politischen Ökonomie und politischer Ökologie, Rassismus, Feminismus und sozialen Bewegungen. Sie hat einen Doktor der Soziologie an der Freien Universität Berlin gemacht und sich in ihrer Thesis mit der Palmölindustrie und der Fortsetzung primitiver Akkumulation in Kolumbien und Ecuador beschäftigt. An der gleichen Universität schloss sie eine Post-Doc-Stelle an, während der sie zum politischen Selbstverständnis von Frauen, die in der ehemaligen Guerrilla-Organisation FARC-EP kämpften, forschte. 2022 erhielt sie den Emma Goldman Snowball Preis der Flax Foundation, die herausragende feministische und anderweitige Ungleichheiten betroffende Forschung prämiert.
Das Entwicklungsmodell, mit dem die westliche Welt ihren Wohlstand erwirtschaftet hat, hat gesellschaftliche und ökologische Grenzen, die immer sichtbarer werden –sozioökonomische Ungleichheiten in der Welt nehmen zu, der Planet steht vor dem Kollaps, Konflikte sind allgegenwärtig. Daher ist in den letzten Jahren weltweit die Debatte über die Notwendigkeit des Wandels und die Suche nach alternativen Gesellschaftsentwürfen in Gang gekommen. Das Konzept des Guten Lebens (Buen Vivir/ Sumak Qawsay) hat in diesem Zusammenhang weit über die Andenregion hinaus, in der es seinen Ursprung hat, Aufmerksamkeit erregt. In der Veranstaltung mit Miriam Betancourt sollen anhand der Vorstellung dieses Gesellschaftsentwurfs folgende Fragen diskutiert werden: Wie hängen Frieden, (Klima-)Gerechtigkeit und Dekolonisierung zusammen? Welche Vorschläge für das Verhältnis zwischen Mensch und Natur macht das Konzept des Guten Lebens? Und was kann daraus für den deutschen Kontext gelernt werden?
Miriam Betancourt wurde in Quito – Ecuador geboren und ist Sozialökonomin. Sie studierte Soziologie und Wirtschaft an der Universität Hamburg und hat unter anderem als interkulturelle Mediatorin beim „MiMi Gesundheitsprojekt“ gearbeitet. Derzeit ist sie im sozialen Bereich mit Frauen und Kindern tätig. Zudem ist sie Mitgründerin der Frauengruppe „Mujeres en Movimiento Hamburg“, und des Kollektivs Abya Yala Anticolonial. Sie versteht sich als Umwelt- und feministische Aktivistin.
Stellen wir uns eine Welt vor, in der alles Lebendige leben und gedeihen kann. Eine Welt, in der alle Lebewesen nicht nur überleben können, sondern sogar ein gutes Leben haben. Dies erfordert einen tiefgreifenden Wandel hin zu einer lebensfähigen menschlichen Gesellschaft auf diesem Planeten, in der das Wohlergehen aller im Mittelpunkt steht. Mit Blick auf dieses Ziel und weil die sozial-ökologischen Transformationsprozesse mit Konflikten einhergehen, gilt es diese aktiv und konstruktiv anzugehen. Ansätze des Environmental Peacebuilding sorgen dafür, dass die Verbindung von konfliktsensiblem Umwelt- und Klimaschutz und klimabewusster Friedensarbeit stärker zusammengedacht werden. Der Vortrag zeigt auf, welche wirksamen Mittel Friedensarbeit und Zivile Konfliktbearbeitung auch darüber hinaus zur Bewältigung der Polykrise bereithalten und wie sie zur »Gestaltung der erhaltenden Entfaltung« beitragen.
Dr. Dani*el*a Pastoors ist wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in am Zentrum für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (ZIN) der Universität Münster und verantwortlich für den Aufbau eines Innovation Hubs zu sozial-ökologischen Nachhaltigkeit im Münsterland und im Rahmen eines europäischen Hochschulverbundes (Ulysseus). Dani*el*a forscht und lehrt an der Schnittstelle von elicitiven Ansätzen der Konflikttransformation, regenerativem Peacebuilding und sozial-ökologischer Transformation, hat in Marburg Friedens- und Konfliktforschung studiert und über die Frage promoviert, wie Fachkräfte im Zivilen Friedensdienst psychosozial begleitet und unterstützt werden und wie eine Kultur des Friedens mit einer Kultur der Fürsorge verbunden ist. Im Artikel „Frieden verbessert das Klima“ hat Dani*el*a den Beitrag von Zivile Konfliktbearbeitung zur sozial-ökologischen Transformation untersucht und in „Erhalten, Entfalten, Gestalten“ mit herrschaftskritischen Perspektiven erweitert.
Darauf wird jeweils eine Veranstaltung pro Monat bis Dezember 2024 folgen.
Anmeldung und Fragen per E-Mail an Veranstaltung(at)icja.de
Johanna Fuchs (Veranstaltungsorganisation)
Wann | Thema | Vortragende*r |
Juni | Gewaltfreiheit und Alternative Sicherheit – eine Basis für mehr Frieden? | Christine Schweitzer, BSV Mittwoch, 26. Juni, 19 Uhr |
Juli | Konflikte als Quelle gesellschaftlicher Transformation | Jochen Neumann, Kurve Wustrow Donnerstag, 4. Juli, 19 Uhr |
August
| Die einfache Magie der Mediation (auf Englisch) | Jan Sunoo, ICJA-Alumno und Mediator Samstag 31. August, 11 Uhr |
Sept. | Postwachstum und Degrowth: Wandel in der Wirtschaft für gerechteren, nachhaltigen Frieden | Julian Wortmann, Konzeptwerk Neue Ökonomie, Details noch in Klärung. Dienstag, den 17. September, 20 Uhr |
Okt. | Dekolonialisierung und dekoloniale Perspektiven auf Frieden | Dr. Edna Martinez Dienstag, den 29. Oktober um 19 Uhr Verlegt auf den 5.11. um 19 Uhr |
Nov. | Buen Vivir: Kosmovision für ein anderes Zusammenleben. | Miriam Betancourt Montag, den 11. November um 19 Uhr |
Nov. | Friedensarbeit als Gestaltung sozial-ökologischer Transformation | Dani*el*a Pastoors, Dienstag, 26. November, 19 Uhr |
Evtl Zusätzl.: Dez. | Frieden mit dem Planeten, heißt auch Frieden mit uns selbst: Spiritualität im Kontext von Frieden |
|